Der Nürnberger Geisterzug erobert die Welt

Deutschlands erste fahrerlose U-Bahn fährt seit 2008 in Franken - und ist internationaler Innovationsmotor im automatisierten Personennahverkehr
Nachricht18.07.2016Michael Lindner
Bitte einsteigen! Die Linien U2 und U3 in Nürnberg kommen ohne Fahrer aus.
VAG - Claus Felix

Wir schreiben das Jahr 1835 - eine Sensation der Industrialisierung wird kritisch beäugt: Deutschlands erste Eisenbahn - der Adler - nimmt die Fahrt zwischen Nürnberg und Fürth auf. 173 Jahre später sendet wieder ein Verkehrsprojekt aus Nordbayern eine Innovationsbotschaft in alle Welt: seit 2008 rollt Deutschlands erste fahrerlose U-Bahn durch die Frankenmetropole – mit fast hundertprozentiger Pünktlichkeit. Was früher futuristisch anmutete, ist heutzutage auch in anderen Städten Realität. Das Projekt mit dem Namen RUBIN ist ein Musterbeispiel für Mobilitätsinnovation mit gleich mehreren Alleinstellungsmerkmalen:

  • Das weltweit neue an dieser U-Bahn war, dass eine bereits existierende Linie auf vollautomatischen Betrieb umgestellt wurde. Dabei nutzten die automatische und konventionelle Linie einen Streckenabschnitt im Mischbetrieb gemeinsam.
  • Mit der Umstellung auf den komplett automatischen Betrieb im Jahr 2010 gelang dann eine weitere Weltneuheit: die gesamte Linie wurde "unter rollendem Rad umgestellt". Der Betrieb wurde nicht einen Tag unterbrochen. Nach und nach fuhren einfach immer mehr automatische Züge ein und lösten die Konventionellen sukzessive ab.

Mut und Durchhaltevermögen

Wie bei vielen Mobilitäts- und Infrastrukturprojekten war der Weg zum Ziel steinig und von regen Diskussionen gepflastert: eigentlich sollte die fahrerlose U-Bahn schon 2 Jahre früher als große Attraktion zur Fußball-WM 2006 an den Start gehen. Doch technische Probleme bremsten dieses Vorhaben aus. 2008 hat es dann aber geklappt und die computergesteuerte Bahn nahm ihren Betrieb auf. Darüber hinaus war in Teilen der Bevölkerung das Projekt umstritten. Zweifel an Technik und Sicherheit wurden lange öffentlich diskutiert. Dazu thematisierten Gegner eine mögliche Aushöhlung des Streikrechts oder Entlassungen von Zugpersonal. 

U Bahn Nürnberg - Underground Tube Nuremberg - U3 komplette Fahrt

Es hat sich gelohnt!

Doch trotz der technischen Startschwierigkeiten, Vorbehalten in der Bevölkerung und der Belegschaft hat es sich gelohnt, mutig an dem Projekt festzuhalten: zentral gesteuert und elektronisch überwacht bietet die automatische U-Bahn höchste Sicherheit, dichte Takte und hohe technische Zuverlässigkeit. Im automatisierten Betrieb fahren die U-Bahnen in einem Abstand von nur 100 Sekunden. Das verkürzt die Wartezeiten für die Fahrgäste auf ein Minimum.

Bei Großveranstaltungen und erhöhtem Verkehrsaufkommen fahren zusätzliche Bahnen vollkommen unkompliziert auf den Schienen. Per Knopfdruck kommen sie automatisch aus dem Depot oder den Abstellanlagen in den Betrieb und können in Taktlücken einspringen. Auch die Sicherheit der Fahrgäste wird besser gewährleistet, da ein Radarsystem jeden Fremdkörper auf dem Gleis in Sekundenbruchteilen erfasst und den Zug zum Stehen bringt - schneller, als ein menschliches Auge dies könnte.

Zudem verbrauchen die automatisch gesteuerten Fahrzeuge weniger Energie, weil die Steuerung Beschleunigungs-, Fahr- und Bremsvorgänge optimiert. So konnte der Energieverbrauch für die U-Bahn in Nürnberg um bis zu 15 Prozent reduziert werden.

Fazit: ein Erfolg "made in Franken"

Nach mittlerweile acht Jahren im Betrieb ist klar, dass sich die Unkenrufe der Kritiker nicht bestätigt haben. Weder wurden Zugführer arbeitslos - sie sind entweder auf den noch konventionell betriebenen Linien tätig, arbeiten als Kundenbetreuer oder in der Leitzentrale. Noch wurden Arbeitsrechte wie das Streikrecht ausgehöhlt. Wie sollen denn die Bahnen fahren wenn z.B. die Leitstelle streikt?

Vielmehr hat der Mut zur Innovation viele nationale und internationale Nachahmer gefunden: in Barcelona, Budapest und auf einer Linie der Paris Métro ist das System inzwischen im Einsatz. Und auch am Münchener Flughafen wurde vor kurzem eine vollautomatische Strecke in Betrieb genommen. Weil der Nürnberger Modellversuch gezeigt hat, dass eine Umstellung auf Automatisierung auch im laufenden Betrieb funktioniert. Und die grundsätzliche Automatisierung viele Vorteile bringt. Für die Verkehrsbetriebe und die Nutzer.