Die USA und der Liberalismus

Ist „liberal“ in den USA mittlerweile ein Schimpfwort?
Meinung29.02.2016Michael Lindner
Freiheit

Wer den US-Wahlkampf und die Vorwahlen der beiden großen Parteien – den Democrats und den Republicans – verfolgt, wird feststellen, dass ein bestimmtes Wort in Amerika nicht das bedeuten kann, was es in Deutschland und Europa aussagt: liberal. Tatsächlich meinen Amerikaner damit etwas anderes, als das was in Deutschland und Europa mit dem Begriff verbunden wird. Was aber genau verstehen Amerikaner unter „liberal“?

Ein Gespräch zur Begriffsklärung mit Andreas Falke, Professor für Nordamerika-Studien an der Universität Erlangen-Nürnberg.

Lieber Herr Falke, was sind Ihres Erachtens die deutlichsten Unterschiede der politischen Begriffsbedeutung „liberal“ zwischen Deutschland und Europa auf der einen Seite und den USA auf der anderen?

Der amerikanische Begriff „liberal“ bezeichnet eindeutig die linke, die aktive den Markt korrigierende Rolle des Staates. Das gilt vor allem auch für die Bundesebene als Hebel gegenüber den Einzelstaaten für den staatsinterventionistischen Eingriff und die Etablierung nationaler Sozialpolitik. Dieses Paradigma ist unter Franklin D. Roosevelts „New Deal“ in den 30er Jahren etabliert worden. Interessenpolitisch gehören dazu die Gewerkschaften, die städtische Arbeiterschaft, die traditionellen europäischen Einwanderergruppen und die schwarze Bevölkerung.

Mit der Bürgerrechtsbewegung der schwarzen Minderheiten in den 60er Jahren gehören zur Definition von „liberal“ auch die Bürgerrechte und der Abbau von Diskriminierung durch zentralsstaatliche Instrumente und Verfahren für alle benachteiligten Gruppen. In jüngster Zeit ist noch der Umweltschutz und der Klimaschutz dazugekommen, nachdem sich die Republikaner davon verabschiedet haben, Klimaschutz überhaupt als reales Problem zu verstehen.

Können Sie der einfachen Verallgemeinerung zustimmen, dass „liberal“ nach amerikanischem Verständnis am ehesten mit unserer Deutschen Sozialdemokratie vergleichbar ist?

Das gilt nur für die sozialstaatliche, gewerkschaftsfreundliche Agenda der Demokraten und der sie unterstützenden Gruppen, und wenn man von der Grundannahme ausgeht, dass der Staat und seine bürokratischen Agenturen immer die besten Lösungen für gesellschaftliche Probleme parat haben. Zunehmend sind die Demokraten in der Handelspolitik in das protektionistische Lager gerückt, vor allem was Sozialstandards und Arbeitnehmerrechte betrifft.

Andreas Falke

Seit Ronald Reagan haben konservative Republikaner versucht, „liberal“ als Schimpfwort aufzubauen.

Andreas Falke

Der Begriff „liberalism“ wird in der öffentlichen Debatte in den USA oft mit Begriffen wie Sozialismus und Kommunismus vermischt. Demnach sind liberals z.B. Weicheier, die Amerika hassen, die Flagge verbrennen, usw. Ist liberal also schon als ein Schimpfwort in den USA anzusehen? Und wenn ja, für wen? Welche gesellschaftlichen und politischen Gruppen betrifft dies?

Seit Ronald Reagan haben konservative Republikaner versucht, „liberal“ als Schimpfwort aufzubauen. Das hat viel mit der gescheiterten Präsidentschaft von Jimmy Carter zu tun, der von den Republikanern als bestes Beispiel für eine gescheiterte Wirtschafts- und Außenpolitik angeführt werden konnte. Das war so erfolgreich, dass Demokraten, hier besonders Bill Clinton, seit den 90er Jahren versucht haben, das Etikett „liberal“ los zu werden und sich als „zentristisch“ zu definieren.

Mit dem Aufkommen der Tea Party und dem Rechtsschwenk der Republikaner haben diese versucht, „liberal“ als gegen die Grundwerte der amerikanischen Gesellschaft (Schutz der Familie, Achtung fundamentaler christlicher Werte, Patriotismus) an sich gerichtet darzustellen. Es ist jedoch interessant, dass diese Strategie heute weniger verfängt als in den 90er Jahren.

Wie die Kandidatur des selbst erklärten demokratischen Sozialisten Bernie Sanders bei den Demokraten zeigt, haben gerade junge Wähler immer weniger Probleme damit, sich als „liberals“ zu verstehen, weil Dinge wie Abschaffung der exorbitant hohen staatlichen Studiengebühren nicht als ideologischer Programmpunkt verstanden wird. Kurz, wenn die Republikaner die Polarisierung auf die Spitze treiben, kann man sich ungeniert ohne Risiko als „liberal“ verstehen. Hillary Clinton hat diesen Interpretationsstrang aufgenommen.

Wenn wir bei der aus Deutschland und Europa bekannten Ausprägung von politischem Liberalismus bleiben: bei welchen Gruppierungen finden wir diese in den USA am ehesten wieder?

Wir finden Elemente eigentlich in allen Lagern. Die Bürgerrechtselemente eher bei den Demokraten, das Setzen auf marktwirtschaftliche Elemente und den Abbau bürokratischen Hemmnissen bei den Republikanern. Wenn man den europäischen Liberalismus auch als Plädoyer für einen deliberativen Umgang mit Freiheitsrechten versteht, dann würden sich heute Liberale eher bei den Demokraten aufgehoben fühlen.

Unter der Bedingung starker Polarisierung würden sich europäische Liberale vielleicht am besten bei der Gruppe der „Independents“ aufgehoben fühlen, die Freiheitsrechte mit moderaten politischen Ansätzen verbinden möchte. Aber diese Gruppe ist angesichts der Polarisierung politisch heimatlos. Ihr Repräsentant wäre wohl der ehemalige Bürgermeister von New York, Michael Bloomberg, ein Kandidat, der höchstens im Nordosten der USA eine Chance hat.

Die politische Strömung des „libertarianism“, verkörpert durch die Libertarian Party, wird als die drittgrößte Partei in den USA gehandelt. Was unterscheidet diese hinsichtlich ihrer politischen Werte, wenn wir sie mit Europäischen Liberalen vergleichen?

Die „libertarians“ sind eine extreme Ausformung des Liberalismus. Sie lehnen bis auf die Sicherung rudimentärer Grundrechte und Verwaltungsfunktionen jegliche staatliche Regulierung von Wirtschaft und Gesellschaft ab (z.B. jegliche staatliche Gesundheitsversorgung), aber auch wertebezogene Regulierung des gesellschaftlichen Handelns, also auch Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe, des Drogengebrauchs, und des Waffenbesitzes. Dazu zählt aber auch die Ablehnung einer aktiven, auf den Einsatz militärischer Instrumente bauende Aussenpolitik. In dieser Hinsicht sind sie im Prinzip eine moderne Ausformung des amerikanischen Isolationismus. Ihre Vertreter kamen in jüngster Zeit aus dem republikanischen Lager (Ron und Rand Paul), aber sie widersprechen der sozial konservativen und der außenpolitischen Agenda der Republikaner wie dem erstarkten Staatsinterventionismus und der auf Umverteilung setzenden Agenda der Demokraten. Also punkten sie nur gelegentlich auf regionaler Ebenen, national können sie keine Rolle spielen. Was auch das klägliche Abschneiden von Senator Rand Paul bei den aktuellen Vorwahlen zeigt.