Im Kampf gegen die westliche Welt

Islamistischer Extremismus. Ein Gespräch mit Alexander Rieper, Orientalist und Islamexperte
Meinung09.03.2016Michael Lindner
IS-Kämpfer

Viele Menschen haben Angst – Angst vor dem gewaltbereiten Islamismus, der sich an der westlichen Lebenskultur zu stören scheint und diese mit Waffengewalt bekämpft. Doch was ist eigentlich Islamismus? Und warum erstarken seit Jahren diese gewaltbereiten islamistischen Strömungen? Zu diesen Fragen haben wir ein kurzes Gespräch mit dem Orientalisten und Islamexperten Alexander Rieper geführt.

Lieber Herr Rieper, wie alle Religionen hat auch der Islam viele Ausprägungen. Was genau kennzeichnet denn die gewaltbereiten Strömungen des Islams, also den sogenannten „Islamismus“ bzw. „Djihadismus“ in Abgrenzung zum Rest der islamischen Glaubensgemeinschaft?

Der Islamismus ist eine von vielen Interpretationen des Islam. Genauso wie zum Beispiel die Renaissance ist der Islamismus aus einer Ideengeschichte hervorgegangen, die viel weiter zurückgeht als nur ein paar Jahrzehnte. Islamismus ist vor allem eine Sammelbezeichnung für alle politischen Auffassungen und Handlungen, die im Namen des Islam die Errichtung einer religiös legitimierten Gesellschafts- und Staatsordnung anstreben. Allen radikalen Strömungen war und ist dabei die Absicht zu eigen, den Islam nicht nur zur verbindlichen Leitlinie für das individuelle, sondern auch für das gesellschaftliche Leben zu machen. Das heißt ganz konkret: Religion und Staat sollen nicht getrennt sein. Der Islam soll stattdessen institutionell verankert sein. Damit einher geht die Ablehnung der Prinzipien von Individualität, Menschenrechten, Pluralismus und Säkularität. Also den wichtigsten Grundprinzipien, die wir in unseren westlichen, offenen Gesellschaften etabliert haben, um jedem Individuum zu ermöglichen das eigene Leben selbstbestimmt gestalten zu können, sein Glück zu finden. Der Islam ist mit geschätzt 1,6 Milliarden Gläubigen die zweitgrößte Weltreligion nach dem Christentum.

Wie hoch müssen wir uns den Anteil der muslimischen Radikalen denn vorstellen? Und wie viel Zulauf erhalten diese radikalen Formen? Warum wenden sich viele Menschen dieser radikalen Glaubensaufprägung zu?

Wirklich belastbare Zahlen, welcher Prozentsatz der Muslime tatsächlich den radikalen Strömungen zuzurechnen ist gibt es nicht. In Deutschland sollen es nach dem Verfassungsschutz rund ein Prozent der hier lebenden Muslime sein. Es gibt weltweit die verschiedensten Schätzungen. Ich denke, dass es wichtig ist, sich mit den inhaltlichen Gründen auseinanderzusetzen. Innerhalb des gewaltbereiten Islamismus existieren verschiedene und zum Teil entgegengesetzte Strömungen. Was alle aber eint, ist, dass sie sich vom „Westen“ als entrechtet und gedemütigt empfinden. Dafür gibt es vielerlei Gründe. Zum Beispiel ein schwer zu fassendes Grundgefühl vieler Araber und auch Muslime allgemein, dass sie von der Zivilisationsgeschichte abgehängt wurden, während sich andere Völker weiterentwickeln und die Früchte des Fortschritts ernten. Dieses subjektive Gefühl führt bei einigen Muslimen dazu, dass ein Wesenselement ihrer kulturellen Identität gegen äußere Einflüsse verteidigt werden muss. Um dies erfüllen zu können, muss der Islam zu etwas werden, auf das man stolz sein kann. Aber wie sollte man auf ihn stolz sein angesichts des Entwicklungsrückstandes in der islamischen Welt? Eine Lösung besteht dann eben darin, den Blick zurück zu wenden, zu den vergangenen Ruhmeszeiten der mittelalterlichen islamischen Zivilisation, als eine Zeit, die vom 8. bis etwa 12 Jahrhundert reicht. Viele extremistische Denker beziehen sich sogar nur auf das erste Jahrhundert der Ausbreitung des Islam. Diese Zeit war von Kampf und Eroberung durch Waffengewalt geprägt. In diese Zeit sehne sich viele Islamisten zurück. Der bekannte Orientalist Rudolph Peters hat dies im Buch „Der Islam in der Gegenwart“ sehr anschaulich dargelegt.

Rieper

Die islamische Welt kann sich zur Bekämpfung dieser Strömungen auf ihre jahrhundertealte Rechtstradition besinnen, die dem Extremismus entgegensteht.

Alexander Rieper

Als finale Frage bleibt, welche Möglichkeiten sowohl die muslimische wie auch die westliche Welt haben, um auf diese radikalisierten Strömungen zu reagieren?

Zuallererst: ich bin fest davon überzeugt, dass Menschen, denen es wirtschaftlich gut geht, die Bildung haben und frei leben können, in der Masse nicht extrem werden. Hier ist die eine Herausforderung. Darüber hinaus besitzt die islamische Welt eine jahrhundertealte Rechtstradition, die dem Extremismus entgegensteht. Bei der Frage des Ehebruchs zum Beispiel hat diese Rechtstradition dazu geführt, dass es praktisch nicht möglich ist, jemanden wegen dieses Vergehens zu verurteilen. Die zentrale Herausforderung heute ist die Entflechtung des Politischen vom Religiösen, um überhaupt wieder dieser Rechtstradition Gehör und Geltung verschaffen zu können. Wo geht es um konkrete Lebensumstände, wo um religiöses Dogma? Wir als westliche Welt müssen daher vor allem darauf hinarbeiten diesen Staaten dabei zu helfen sich politisch und wirtschaftlich zu stabilisieren sowie mitzuhelfen, die Bildungssystem zu verbessern, um dann auch eine religiöse Stabilisierung unterstützen zu können. Diese muss aber aus den Reihen der muslimischen Gelehrten selbst kommen.