Nürnberger Sicherheitstagung 2023

Die europäische Sicherheitsarchitektur am Vorabend der Nationalen Sicherheitsstrategie
Nachricht06.05.2023Thomas Nagel
Die Nürnberger Sicherheitstagung 2023
Thomas-Dehler-Stiftung

In ihrem Koalitionsvertrag hatte die Ampel-Koalition Ende 2021 vereinbart, eine Nationale Sicherheitsstrategie vorzulegen und damit bereits große Erwartungen geweckt. Der anschließende Diskussionsprozess über diese Strategie wurde umso wichtiger, nachdem der russische Angriffskrieg auf die Ukraine die Grundfesten der europäischen Friedensordnung erschüttert hat. Die sicherheitspolitische Standortbestimmung Deutschlands wurde national und international mit großem Interesse verfolgt.

Was ändert sich nun durch die neue Nationale Sicherheitsstrategie für Deutschland und für unsere internationalen Partner? Was leistet diese Strategie und wo sind ihre Grenzen? Und wie ist die „Zeitenwende“ in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik in der Sicherheitsstrategie verschriftlicht? Diesen und weiteren Fragen widmeten sich die Expertinnen und Experten auf der Nürnberger Sicherheitstagung am 5. und 6. Mai 2023.

Generalleutnant a.D. Horst Heinrich Brauß

Europa muss künftig mehr für seine Sicherheit tun.

Generalleutnant a.D. Horst Heinrich Brauß

Dr. Tobias Lindner MdB, Staatsminister im Auswärtigen Amt, stellte in seinem Eröffnungsvortrag die Nationale Sicherheitsstrategie vor: Inhalte sind die Resilienz der Gesellschaft, ein internationales Krisenmanagement und der Schutz unserer Lebensgrundlagen. Die Sicherheitsstrategie sei ein klares Bekenntnis zur NATO, der EU und den Vereinten Nationen, zur transatlantischen Partnerschaft sowie zur Rüstungskontrolle und entspannenden Maßnahmen bei Konflikten. Notwendig sei es aber auch, mehr über Sicherheitspolitik in der Gesellschaft zu reden. Mit dem Thema Sicherheitspolitik müsse man in die Fläche gehen und die Bevölkerung mitnehmen.

Staatsminister Dr. Tobias Lindner MdB bei seinem Eröffnungsvortrag
Staatsminister Dr. Tobias Lindner MdB (links) bei seinem EröffnungsvortragThomas-Dehler-Stiftung

Generalleutnant a.D. Horst Heinrich Brauß, ehemaliger Beigeordneter Generalsekretär der NATO für Verteidigungspolitik und Streitkräfteplanung, forderte eine Zusammenarbeit mit den Kernpartnern der geostrategischen Drehscheibe Europa. Die Europäer müssten künftig sehr viel mehr für ihre Sicherheit tun. Dazu gehöre auch die Strategie der NATO mit der Stärkung der Ostflanke durch die neuen NATO-Mitglieder Finnland und Schweden.

Generalleutnant a.D. Horst Heinrich Brauß und Ulrich Lechte MdB
Generalleutnant a.D. Horst Heinrich Brauß und Ulrich Lechte MdBThomas-Dehler-Stiftung
Nicola Beer MdEP

Wir waren zu spät für Hongkong und wir wollen nicht zu spät für Taiwan sein.

Nicola Beer MdEP

Nicola Beer MdEP, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, war der Meinung, dass sich Europa sicherheitspolitisch in schwieriger See befinde. „Als Europäer hatten wir es uns in unserer Wohlfühl- und Komfortzone schön eingerichtet. Es war sehr einfach alles auszulagern, ob das die Sicherheit war, die Absatzmärkte oder billige Energie. Uns ging es von Jahr zu Jahr besser. Mit Blick auf Freiheit, Frieden und Wohlstand waren wir eine glückselige Insel. Für mich ist es wichtig, dass man auf der richtigen Seite der Geschichte steht. Die Fehler, die wir bei Hongkong gemacht haben, wollen wir bei Taiwan nicht wiederholen. Wir waren zu spät für Hongkong und wir wollen nicht zu spät für Taiwan sein. Dazu müssen wir den Mut haben und den Chinesen eine deutliche Ansage machen.“

Nicola Beer
Nicola Beer MdEPThomas-Dehler-Stiftung

China führe den Europäern die wirtschaftliche Abhängigkeit deutlich vor Augen. Die EU habe aber inzwischen die Rolle als geopolitischer Akteur angenommen. Der Zugang zu strategischen Rohstoffen müsse sichergestellt und vertrauensvolle Win-win-Partnerschaften geschaffen werden, um China und Russland Einhalt zu gebieten.

Prof. Dr. Jhy-Wey Shieh

VW kann kein Auto ohne Chips aus Taiwan bauen.

Prof. Dr. Jhy-Wey Shieh

Prof. Dr. Jhy-Wey Shieh, Repräsentant von Taiwan in Deutschland, beschwor die starke Schicksalsgemeinschaft mit der Ukraine. Seine Familie war vor China geflohen. Die Bedrohung Taiwans durch China werde immer realer, auch bei den Salomon-Inseln als militärischem Stützpunkt, in der Südsee in der Nähe Australiens. Es brauche eine Zeitenwende, um dem diktatorischen Regime Chinas zu widerstehen. Sein Land verortete Jhy-Wey Shieh als Teil einer Wertegemeinschaft: Menschenwürde, Rede-, Presse- und Religionsfreiheit seien keine westlichen, sondern universelle Werte! Darüber hinaus betonte er auch die wirtschaftliche Bedeutung Taiwans: So sei etwa die Chipherstellung für die Automobilindustrie für Deutschland enorm wichtig. „VW kann kein Auto ohne Chips aus Taiwan bauen!“

Prof. Dr. Jhy-Wey Shieh
Prof. Dr. Jhy-Wey ShiehThomas-Dehler-Stiftung

Generalleutnant Kai Rohrschneider, Abteilungsleiter Führung Streitkräfte im Bundesministerium der Verteidigung, bezeichnete den russischen Überfall auf die Ukraine als eine fundamentale Überraschung. Dabei sei die Abhängigkeit Deutschlands von multinationalen Akteuren deutlich geworden. „Die militärische Dimension von Macht wird wichtiger. Deutschland muss sich ökonomisch neu ausrichten,“ war sich Rohrschneider sicher. Der Grad, in dem Deutschland seine Bündnisverpflichtung erfülle, sei hoch. Mit Blick auf Abschreckung und Verteidigung müsse Deutschland allerdings besser vorbereitet sein. Dazu zählten deutlich mehr Präsenzstreitkräfte. „Aktuell sind wir darauf nicht ausgerichtet“, gab Rohrschneider zu bedenken. Am Beispiel einer Brigade zeigte er auf, dass Strukturfragen geklärt werden müssten, um Einsatzbereitschaft herzustellen. Dringend notwendig sei deshalb eine Debattenkultur. Denn die Zeitenwende bedeute für die Streitkräfte einen fundamentalen Veränderungsprozess. Die Bundeswehr sei bei all den globalen Veränderungen allerdings extrem reformbereit.

Generalleutnant Kai Rohrschneider, Ulrich Lechte MdB und Oberst d. R. Prof. Dr. Eberhard Grein
Generalleutnant Kai Rohrschneider, Ulrich Lechte MdB und Oberst d. R. Prof. Dr. Eberhard GreinThomas-Dehler-Stiftung
Maksym Yemelianov

Es geht um unsere Freiheit!

Maksym Yemelianov

Maksym Yemelianov, Gesandter Botschaftsrat der Ukraine, warf Putin vor, er wolle die Grundlagen der internationalen europäischen Sicherheitsordnung gänzlich löschen. Auch Deutschlands Sicherheit, Freiheit und Prosperität seien gefährdet. „Wir haben diesen Kampf nicht gewollt. Und wir haben diesen Kampf nicht gewählt, weder die USA, noch die NATO-Verbündeten“, unterstrich Yemelianov in seiner emotionalen Rede. „Für uns geht es um das Überleben als souveränes Land, es geht um unsere Freiheit.“ 2008 hätten einige Länder, darunter Deutschland, beim Bukarester NATO-Gipfel einen Aktionsplan für die Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens blockiert. „Sie wissen was danach folgte“, stellte Yemelianov rhetorisch fest. Es folgte die Annexion von Teilen Georgiens, ohne eine angemessene internationale Reaktion für den Aggressor. Die Besänftigung Russlands sei kurzsichtig gewesen. Russland habe die imperialistischen Pläne weitergeführt. Der 24. Februar 2022 markiere eine Zeitenwende. In den bilateralen Beziehungen habe es einen Quantensprung in den Beziehungen zwischen Deutschland und der Ukraine gegeben. Für die herausragende deutsche Unterstützung bedankte sich Maksym Yemelianov in Nürnberg. Allerdings forderte er weitere Waffenlieferungen. Der militärische Druck auf Russland müsse erhöht werden. Er forderte verschärfte Sanktionen, die Streichung russischer Visa, die Bestrafung begangener Kriegsverbrechen und eine internationale Konferenz mit Garantien für die Ukraine.

Maksym Yemelianov
Maksym YemelianovThomas-Dehler-Stiftung

In der Podiumsdiskussion ging es um die Stärkung der resilienten Zivilgesellschaft, eine nukleare Abschreckung in Europa, die Arbeitsteilung im Bündnis, das Engagement russischer Nachrichtendienste in Deutschland, die Wirkungsmöglichkeiten der Vereinten Nationen, verschärfende Sanktionen gegen Russland und eine mögliche europäische Armee.

Weit über 100 Zuschauerinnen und Zuschauer waren nach Nürnberg gekommen, um an der Tagung teilzunehmen, über 200 weitere waren digital zugeschaltet.

Moderiert wurde die Nürnberger Sicherheitstagung kompetent und fundiert vorbereitet von Ulrich Lechte MdB, Obmann der FDP-Bundestagsfraktion im Auswärtigen Ausschuss, und dem Politikwissenschaftler Oberst d. R. Prof. Dr. Eberhard Grein.

Die Nürnberger Sicherheitstagung wird jährlich von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und der Thomas-Dehler-Stiftung organisiert und durchgeführt. Weitere Partner sind der Deutsche BundeswehrVerband, die Deutsch-Atlantische Gesellschaft e.V., die Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V., die Clausewitz-Gesellschaft e.V., der Reservistenverband Landesgruppe Bayern und der Verlag Nürnberger Presse.