Stärke des Rechts statt Recht des Stärkeren

Nürnberger Sicherheitskonferenz lotet Kooperationsmöglichkeiten zwischen Europa und den USA aus
Nachricht24.06.2017Markas Adeikis
Die Nürnberger Sicherheitskonferenz
Abschottung oder doch eine notgedrungene Zusammenarbeit? Eins wird klar: Seitdem die USA von einem unberechenbaren Präsidenten regiert wird, wird Europa vom Dilemma gequält, wie es mit dem einstigen Wunschpartner umgehen soll. Thomas Dehler Stiftung

Auf der diesjährigen Nürnberger Sicherheitstagung konzentrierten sich Experten auf die Kooperationsmöglichkeiten zwischen Europa und den USA unter den neuen globalen Umständen und Europas Lage in der Trump-Ära und beschworen die Solidarität der EU.

Abschottung oder doch eine notgedrungene Zusammenarbeit? Eins wird klar: Seit die USA von einem unberechenbaren Präsidenten regiert wird, wird Europa vom Dilemma gequält, wie es mit dem einstigen Wunschpartner umgehen soll. Mit diesem Thema hat sich die Nürnberger Sicherheitstagung am 22.-23. Juni auseinandergesetzt. Zahlreiche Experten aus dem Bereich der Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik haben im Presseclub Nürnberg darüber diskutiert, auf welche Herausforderungen und Chancen sich die EU während der Präsidentschaft Trump einstellen muß. Die von der Thomas-Dehler-Stiftung organisierte Tagung bot dafür diverse Sichtweisen und Lösungsvorschläge.

Zu den Experten zählte General a.D. Klaus Naumann, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr, Cécile Prinzbach, Politologin für deutsch-französische Beziehungen, Oberst i.G. Peter Kallert, Stabschef im Büro des Vorsitzenden EU Militärausschuss, Prof. Dr. Johannes Varwick, Politikforscher für internationale Beziehungen und europäische Politik an der Universität Halle-Wittenberg, Prof. Dr. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing, Prof. Dr. Frank Hoffmeister, Referatsleiter in der Direktion für handelspolitische Schutzinstrumente der EU-Kommission, Dr. Holger Janusch, Forscher für Interne Politische Ökonomie an der Universität Erlangen-Nürnberg und Prof. Dr. Sven Bernhard Gareis sowie Prof. Dr. Matthew Rhodes, Dozenten vom George C. Marshall European Center für Sicherheitsstudien. Moderiert wurde die Konferenz vom ehemaligen Bundestagsabgeordneten und Außenpolitikexperten Hildebrecht Braun sowie Generalleutnant a.D. Heinz Marzi.

Nachdem Oberst d.R. Dietmar Paun bei seinem Grußwort den Auftrag der Bundeswehr akzentuierte, das sicherheitspolitische Verständnis in der Gesellschaft zu vermitteln, führte Moderator Hildebrecht Braun kurz in die Thematik ein. In seiner Eröffnungsrede warnte er vor Trumps Sympathien für demokratiefeindliche Regime sowie Politikmethoden. Trotz der Hoffnungen, Trump würde sich im Laufe der Zeit mäßigen, habe sich die Lage laut Braun nicht gebessert, deswegen brauche Europa politische Lösungen, um dem Politikstil des Trump entgegenzutreten und demokratische Grundwerte zu verteidigen.

Als erster und gleich wichtigster Gastredner der Tagung betonte General a. D. Klaus Naumann, dass man mit militärischen Mitteln allein keine Sicherheit in Europa schafft. Noch wichtiger sei es, die nuklearen Bedrohungen der Atommächte in der Peripherie zu beseitigen sowie den Willen europäischer Staaten zu stärken, sich international geeint zu behaupten. Nur so könne man Schicksal in eigene Hände nehmen.

Angesichts der schwächelnden Partner am europäischen Südrand, der unberechenbaren Flüchtlingsströme und des Brexit mahnte Naumann die EU zur noch engeren Kooperation mit der NATO. Auch die Zusammenarbeit mit der USA solle trotz Trump weiter aufrechterhalten werden: „Europas Sicherheit besteht im Bündnis mit den USA. Nur mit den USA im Rücken kann Europa wieder in Dialog mit Russland treten.“ Allerdings seien auch die Vereinigten Staaten von der Partnerschaft mit Europa abhängig, denn „nur mit Europa an ihrer Seite können die USA eine Weltmacht bleiben.“ Der frühere NATO-General plädierte für durchgreifende Reformen im Allianz und ein neues strategisches Konzept in Kooperation mit der EU. Sollte das gelingen, würde die NATO an Trump bestimmt nicht zerbrechen.

Anschließend berichtete die Politologin Cécile Prinzbach über die Entwicklungen in Frankreich nach Macrons Sieg bei Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Beim Vortrag spannte sie den Bogen von den Veränderungen in der französischen Parteienlandschaft bis hin zu den Verschiebungen in der dortigen Wählerschaft. Laut Prinzbach sorge der Machtwechsel für die Hoffnung, dass sich die Fünfte Republik als ein starker Partner und Verfechter europäischer Grundwerte bei der europäischen Integration behaupten kann. Dafür benötige der jetzige Staatspräsident aber auch innenpolitische Erfolge – nur so sei das Vertrauen der Bevölkerung in nationale sowie EU-Strukturen zurückzugewinnen.

Oberst i.G. Peter Kallert berichtete über die bisherigen, in der Öffentlichkeit nur wenig bekannten militärischen Operationen und Trainingsmissionen der EU. Darüber hinaus sprach sich Kallert klar für die Vereinheitlichung von europäischer Waffensysteme aus, um die Rüstungsbeschaffung effektiver zu gestalten. Ob die Idee, eine europäische Armee zu gründen, sinnvoll ist, konnte Herr Kallert nicht eindeutig beantworten. Dafür sollten laut ihm vorher die Rahmenbedingungen geklärt werden, nämlich die Finanzierung und die Entscheidungsprozesse bei Einsätzen. Am Ende akzentuierte der hochrangige Militär die Rolle starker Führungsnationen: „Im Falle der europäischen Sicherheit entscheiden einzelne EU-Mitgliedstaaten über weitere Schritte.“

Politologe Johannes Varwick skizzierte in seinem Vortrag die verstetigte Tendenz, dass die westliche Gemeinde immer öfter realpolitische, pragmatische Maßnahmen trifft und Ad-hoc-Bündnisse schmiedet, notfalls auch mit Autokraten, die Menschenrechte unterminieren. Dabei sei Trump kein Pionier. Doch trotz der unberechenbaren US-Außenpolitik sieht Varwick die Vereinigten Staaten weiterhin als die zentrale Macht in einer multipolaren Welt. Laut dem Politikforscher sollte die NATO zuerst ihre Strukturprobleme lösen: divergierende Bedrohungsperzeptionen und träge Entscheidungsprozesse, die die Allianz noch mehr lähmen als finanzielle Engpässe. Zu einem Punkt gibt Varwick dem US-Präsidenten sogar Recht: Sämtliche NATO-Mitglieder sollten langfristig einen fairen Beitrag zur kollektiven Sicherheit des Bündnisses leisten:  Nicht die Abkopplung von den USA, sondern mehr Investition in die gemeinsamen NATO-Strukturen solle thematisiert werden.

Der erste Tag der Sicherheitskonferenz wurde mit einem Festvortrag von Prof. Dr. Ursula Münch abgeschlossen. In ihrer Rede zeichnete die Leiterin der Akademie für Politische Bildung Tutzing ein pessimistisches Bild der Situation in der EU. Laut Münch verfüge die EU über zu wenig Ressourcen, um eigenständig für ihre eigene militärische Sicherheit zu sorgen. Die Expertin wollte nicht mal das Drohpotenzial von Donald Trump akzentuieren, denn auch ohne Trump demonstriere Europa nur wenig Einigkeit, vor allem in der kollektiven Flüchtlings- und Finanzpolitik. Deswegen ist Münch überzeugt, dass die EU bei ihren bisherigen Strategien zum Zusammenhalt der Gemeinschaft bleibt: Anpassungsreformen einerseits und Auflagen für schwächere Staaten andererseits.

Am zweiten Tag der Tagung widmete man sich eher den wirtschaftlichen Herausforderungen der EU. Handelsexperte Frank Hoffmeister referierte die protektionistischen Tendenzen in der US-Handelspolitik seit Trumps Amtsantritt und diskutierte über mögliche Europas Reaktionen auf diese Trends. Besonders kritisch sah Hoffmeister die Option, mit dem gleichen Protektionismus zu antworten, denn gerade auf dem Binnenmarkt basiere die Wohlfahrt der EU. Desweiteren plädierte er für engere Zusammenarbeit mit amerikanischen Interessenvertretern und einflussreichen US-Politikakteuren, die verhandlungsbereiter seien als der aktuelle US-Präsident. Schließlich schilderte Hoffmeister zahlreiche Maßnahmen, dem handelspolitischen Alleingang der USA international entgegenzusteuern, zum Beispiel die Klage in der Welthandelsorganisation: „Bei solchen Streitschlichtungen soll man auf die Stärke des Rechts und nicht auf das Recht des Stärkeren setzen“, mahnte Hoffmeister.

Der anschließende Redner, Dr. Holger Janusch, wies auf die machtpolitische Logik des Donald Trump hin, der man zwar nicht zustimmen müsse, aber sie zu verstehen sei ein Gebot.  Genau wie sein Vorredner empfahl Janusch den EU-Akteuren, nach wichtigen Vermittlern in US-Ministerien und Ausschüssen zu suchen, um sich bei Trump Gehör zu verschaffen.

Die Konferenz wurde mit einer Podiumsdiskussion gekrönt, in der Prof. Dr. Sven Bernhard Gareis und Prof. Dr. Matthew Rhodes über die Neuausrichtung der Beziehungen zwischen Europa und den USA diskutierten. Beide Sicherheitsexperten bemühten sich um die Konsensfindung. Laut Rhodes habe Trump den Mehrwert der NATO in seiner Amtszeit kennengelernt, deswegen sei seine Rhetorik zu transatlantischen Beziehungen derzeit gemäßigter als in der Wahlkampfzeit. Trumps Forderung, die Verteidigungsausgaben von NATO-Mitgliedern auf zwei Prozent des nationalen BIP aufzustocken, wollten die Diskutanten genauso wenig dramatisieren: Laut Gareis gelte die Forderung als eine politische Orientierungsmarke, die nicht wortwörtlich wahrgenommen werden müsse, wenn die EU den Willen zeige, Rüstungsausgaben langfristig zu erhöhen. Auf der Idee der europäischen Armee reagierte Rhodes ernüchternd: „Europa könnte daran scheitern, gleichzeitig zwei parallele Verteidigungsstrukturen zu unterhalten.“ Die EU müsse sich für einheitliche Verteidigungsstrukturen entscheiden, um die Effektivität ihrer militärischen Kapazitäten nicht zu gefährden.

Insgesamt wurden auf der Nürnberger Sicherheitstagung zahlreiche und innovative Lösungsvorschläge präsentiert, wie man mit den neuen Akteuren der US-Politik besser umgeht und wo die Chancen einer neu ausgerichteten transatlantischen Zusammenarbeit liegen. Trotz heißer Temperaturen schenkte das Publikum den Vorträgen die gebührende Aufmerksamkeit. Fast alle Vorträge hatten den gleichen Tenor, dass die EU trotz der Meinungsunterschiede mit dem US-Präsidenten weiter auf den Dialog statt Konfrontation setzen sollte. Gleichzeitig waren sich die meisten Experten einig, dass die sicherheitspolitischen Strukturen der EU noch besser koordiniert werden müssen, damit Europa neben den USA als ein gleichberechtigtes Schwergewicht selbstbewusst auf der globalen Bühne auftreten und seine Grundwerte nach innen und nach außen verteidigen könnte.