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Verleihung des Ehrenpreises für digitales Bürgerengagement an RECLAIM YOUR FACE
Nachricht02.12.2022Dr. Constantin Groth
Verleihung des Ehrenpreises für digitales Bürgerengagement an RECLAIM YOUR FACE
Verleihung des Ehrenpreises für digitales Bürgerengagement an RECLAIM YOUR FACEThomas-Dehler-Stiftung

Die Coronaproteste im Winter 2022 haben unseren Blick einmal mehr auf China gelenkt, insbesondere auf die Methoden, mit denen die Kommunistische Partei um jeden Preis ihre Macht erhalten will. Eine große Rolle spielt dabei die totale Überwachung der Bürgerinnen und Bürger, kombiniert mit der Erhebung und Sammlung biometrischer Daten. Dass ein autoritäres System zu solchen Mitteln greift, überrascht nicht, doch auch in den Demokratien Europas gibt es immer wieder Pläne oder konkrete Versuche, Überwachungsmechanismen mit biometrischer Gesichtserkennung einzuführen. In Italien, Serbien oder den Niederlanden sind solche Systeme bereits im Einsatz. In Deutschland lief von 2017 bis 2018 ein Pilotprojekt am Berliner Bahnhof Südkreuz, bei dem automatisierte Gesichtserkennung an Freiwilligen getestet wurde.

Die Europäische Bürgerinitiative Reclaim Your Face (https://reclaimyourface.eu/de/) warnt vor den Auswirkungen solcher Maßnahmen und setzt sich für ein Verbot der biometrischen Massenüberwachung in Europa ein. Dafür erhielt sie nun den Ehrenpreis für digitales Bürgerengagement, der von der Thomas-Dehler-Stiftung und LOAD e.V., Verein für liberale Netzpolitik, vergeben wird. Die feierliche Preisverleihung fand am 2. Dezember im Münchner Künstlerhaus statt.

Preisverleihung: Ehrenpreis für digitales Bürgerengagement an RECLAIM YOUR FACE

Reclaim Your Face macht unter anderem darauf aufmerksam, dass biometrische Überwachungssysteme bislang nur mangelhaft funktionieren, sie können einfach umgangen werden und haben Falscherkennungen zur Folge. Zwar betont das Innenministerium, dass die Falschtrefferrate bei unter 0,1 Prozent liege: „Das bedeutet, dass bei 1.000 Abgleichen auf einem Bahnhof lediglich ein einziger Abgleich durch das System fehlerhaft erkannt wird.“ Rechnet man aber die Zahl auf die 179.000 Menschen hoch, die täglich, um bei dem bereits genannten Beispiel zu bleiben, den Bahnhof Berlin Südkreuz passieren, dann sind das 179 falsch identifizierte Personen pro Tag oder über 65.000 pro Jahr. Es sind übrigens insbesondere schwarze Frauen, die von Falscherkennungen betroffen sind.

Weit schwerer wiegt noch ein anderer Punkt: Wenn Menschen Überwachungsdruck spüren, sich ständig beobachtet fühlen, schränkt sie das bei ihrer Meinungsbildung, individuellen Entfaltung und politischen Teilhabe ein. Auch könnten sich Unberechtigte Zugang zu erhobenen Daten verschaffen, autoritäre Regierungen könnten die Technik nutzen, um zivilgesellschaftliches Engagement zu unterbinden. Reclaim Your Face bringt es in seiner Kampagne auf den Punkt: Biometrische Massenüberwachung hat ein enormes Missbrauchspotenzial und ist mit einer demokratischen Gesellschaft nicht vereinbar.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Reclaim Your Face hat es in eindrucksvoller Weise geschafft, europäische zivilgesellschaftliche Organisationen mit dem Anliegen, ein Verbot von biometrischer Massenüberwachung auf europäischer Ebene zu erwirken, in einer groß angelegten und kreativen Kampagne zu vereinen.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, ehem. Bundesministerin der Justiz

Nach der Laudatio von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger folgten die Preisübergabe und die Dankesreden von Andreea Belu, Konstantin Macher und Matthias Marx für Reclaim Your Face. Matthias Marx machte dabei auch auf die Gesichtersuchmaschine Clearview AI aufmerksam, die heute bereits über 30 Milliarden Bilder von Menschen weltweit in ihrem Index hat. In einem Fazit plädierte er für strenge Regulierung, „damit wir uns auch künftig noch frei und unbeobachtet bewegen können.“

Moderiert von Ann Cathrin Riedel, Themenmanagerin Globale Digitalisierung & Innovation bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und Vorsitzende von LOAD e.V., diskutierten die Preisträger im Anschluss mit Prof. Dr. Thomas Petri, dem Bayerischen Landesbeauftragten für den Datenschutz. Dieser betonte, wie wichtig die Unterstützung seiner Arbeit durch zivilgesellschaftliche Organisationen sei.

Biometrische Massenüberwachung: Gefahr für unsere Demokratie?