Wenn Jamaika nicht geht: Wie man künftig besser scheitert

Lehren aus den Sondierungsgesprächen
Meinung27.11.2017Markas Adeikis
Reichstag
Der deutsche BundestagiStock / MarioGuti

Wenn Jamaika nicht geht: Wie man künftig besser scheitert

Nach Aussagen der Beteiligten machte die Jamaika-Sondierung niemand großen Spaß, weder den kleinen noch den großen Verhandlungsparteien. Nach dem Abbruch der Sondierungsgespräche am 19. November folgten die üblichen Rituale – gegenseitige Diffamierungen und Anschuldigungen. Vor allem die FDP, die die Gespräche beendet hat, erntete scharfe Kritik. Eine Interpretation wurde von den Medien hauptsächlich verbreitet, dass die Union sowie die Grünen mit den Liberalen „kurz vor der Einigung“ gewesen wären und dass die FDP kein Zustandekommen der Koalition wollte.

Die gerne genutzte Lesart, das Scheitern des schwarz-gelb-grünen Bündnisses der FDP anzulasten, ist anzuzweifeln. In die Gespräche haben die Parteien sehr viel Zeit investiert. Einen ganzen Monat lang verhandelte die FDP mit den anderen drei Parteien zur Sondierung einer möglichen Regierungsbildung. Dennoch waren die Differenzen am Ende unüberbrückbar.

Der Artikel hat nicht zum Ziel, sämtliche Theorien zum Scheitern zu überprüfen, denn die meisten von denen lenken von sachlichen Differenzen ab, um die Kampfrhetorik einzelner Parteien zu stärken. Für eine konstruktive Diskussion ist es wichtig, inhaltliche sowie kommunikative Unterschiede bei den Verhandlungen zu klären.

Inhaltliche Differenzen

Wie FDP-Vizevorsitzender Wolfgang Kubicki betont, haben immense Meinungsdifferenzen unter Sondierungspartnern bis zum Ende der Gespräche bestanden. Die ganzen „237 offenen Konfliktpunkte“ hat er zusammengerechnet. Diese Punkte lassen sich auf einige wichtige Themenbereiche zusammenfassen.

Dass die Finanzierung der zu treffenden Koalitionsvereinbarungen entscheidend ist, ist offensichtlich. Entstehen hier die Blockaden, sind die Erfolgsaussichten solch eines Bündnisses fraglich. Man kann daher feststellen, dass ein wichtiger Punkt fürs Scheitern die Finanzpolitik war. Das ist umso erstaunlicher, weil die FDP schon ganz am Anfang der Sondierungsphase auf eine große Steuerreform verzichtet und somit ein deutliches Signal der Kompromissbereitschaft gesandt hat. Ein wichtiges Anliegen der Freien Demokraten war es allerdings, den Solidaritätszuschlag stufenweise bis zum Ende dieser Legislaturperiode abzuschaffen. Angesichts der bereits gemachten Kompromissvorschläge war die Forderung den Soli abzuschaffen eine wichtige „rote Linie“ der Liberalen, die die Union und die Grünen nicht respektieren wollten. Somit wäre die Abschaffung des Solidaritätszuschlags in weite Ferne gerückt und das konnten die Freien Demokraten nicht hinnehmen.

In der Wahlkampagne galt die Bildungspolitik als das Hauptthema der FDP. Die Forderungen, die „weltbeste Bildung“ anzustreben, waren das Markenzeichen der Freien Demokraten. Nicht umsonst war es für die Liberalen wichtig, die eigene Handschrift in der bundesdeutschen Bildungspolitik zu hinterlassen. Die Reform der Bildungspolitik gilt für die FDP als ein Schlüsselthema, für die sich die Partei in den Sondierungsgesprächen besonders einsetzte. Allerdings konnten keine signifikanten Veränderungen erreicht werden, vor allem weil die Forderung nach einer Reform des Bildungsföderalismus auf Initiative der CSU und des grünen Ministerpräsidenten Baden-Württembergs ausgebremst wurde.

Auch in der Energiepolitik hatten die Sondierungspartner es schwer, den Klimaschutz mit der Versorgungssicherheit zu vereinbaren. Während die Grünen darauf bestanden, mindestens zehn Gigawatt Leistung aus der Kohleverstromung aus dem Netz zu nehmen, schlug die Union sieben Gigawatt vor; beide Vorstöße hat die FDP als gefährlich für die Versorgungssicherheit eingestuft und abgelehnt.

Im Bereich der Migrationspolitik scheiterten die Gespräche vor allem an der Aussetzung der Familiennachzugs für subsidiär Schutzbedürftige, woran die FDP festgehalten hat. Für Liberale hatte es die höchste Priorität, ein modernes Einwanderungsgesetz mit klaren Regeln in Gang zu setzen. Es wäre aber falsch zu glauben, dass die Grünen sich mit der Union auf einen Kompromiss geeinigt hätten: Vor allem zwischen den Grünen und der CSU gab es zu diesem Thema fast unüberbrückbare Differenzen. Daher sind die Behauptungen unbegründet, dass die Grünen mit der Union ganz schnell einen Konsens gefunden hätten, hätte nur die FDP die Sondierungsgespräche nicht torpediert.

Politische Kommunikationsschwächen

Für einen Erfolg eines Bündnisses braucht man nicht nur einen inhaltlichen Konsens, sondern auch eine gemeinsame Kommunikationsbasis und gegenseitiges Vertrauen. Es wäre nur ein Teil der Wahrheit, nur auf die inhaltlichen Unterschiede zu schauen. Auch der Stil der Verhandlungen war destruktiv. Nach der Erklärung von Maximalforderungen konnten sich die Partner nur mühsam aufeinander bewegen, um einen Kompromiss zu erzielen und diese wurden oftmals später wieder zur Disposition gestellt.

Dass die Positionen von Grünen und FDP weit voneinander entfernt sind, war schon lange vor den Sondierungsgesprächen bekannt. Die Rolle der Union, die als größte Fraktion den Regierungsauftrag hatte, wäre das Vermitteln gewesen und eine Situation zu schaffen, bei der alle Parteien Erfolge erzielt hätten. Dafür hätte auch die Union Abstriche bei ihren Forderungen machen müssen. Nichts derart ist aber passiert. Ein Paradebeispiel ist die Diskussion über die Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Als sich die Grünen mit der FDP nicht einigen konnten, hat die Union einen Kompromissvorschlag gemacht, der fast wortwörtlich dem Wahlprogramm der Union entnommen wurde. Das demonstriert ausdrücklich die mangelnde Kompromissbereitschaft der Union, die keine Bereitschaft zeigte, von den eigenen Kernforderungen abzuweichen. Das konnte die FDP im Sinne ihrer Wähler nicht zulassen.

Zur Taktik des Feilschens gehörte auch die Methode der Partner, das neulich Vereinbarte vor den Kameras laut zu hinterfragen. Die hinter verschlossenen Türen erteilten Versprechen wurden in der Öffentlichkeit wieder zurückgenommen, um die Partner zu verunsichern. Vor allem seitens der Grünen wurde diese Taktik zu oft praktiziert, was die Vertrauensbasis schädigte.

Was man daraus lernen kann

All das verstärkte die Unzufriedenheit der Partner mit den Gesprächen und führte zum Abbruch der Jamaika-Sondierung. Nur weil die FDP das Scheitern erklärt hat, heißt es noch lange nicht, dass die anderen Partner es nicht auch in Erwägung gezogen haben. Robert Habeck, Teil des Verhandlungsteams der Grünen, hat in einem Interview zugegeben, dass auch die Grünen an den Abbruch der Verhandlungen gedacht haben, nur eben nicht gewagt.

Aus dem Scheitern kann man aber auch viele lehrreiche Konsequenzen ziehen. Die Bürger konnten sehen, dass Parteien nicht um jeden Preis an der Regierungsbeteiligung und Dienstwagen interessiert sind. Vor allem die FDP zeigte, dass ihr Image als Umfaller ein Zerrbild ist. Die zähen inhaltlichen Debatten haben auch viel Positives von unserem politischen System offenbart – nämlich, dass die inhaltlichen Unterschiede von deutschen demokratischen Parteien viel größer sind als es in der alltäglichen Diskussion angenommen wird. Wer den Vorwurf der populistischen Protestparteien übernimmt, etablierte Parteien bilden einen „Einheitsbrei“, der wurde durch die Sondierungsgespräche eines Besseren belehrt.

Die Hoffnung bleibt, dass die Parteien nach dem Abbruch der Jamaika-Gespräche künftig den Positionen der anderen mit mehr Respekt begegnen. Wenn sie irgendwann erneut ein Jamaika-Bündnis probieren, könnten sie aus den aktuellen Verhandlungen lernen.

Unter jetzigen Umständen scheint keine Regierungsoption außer der Großen Koalition praktisch umsetzbar. Das bedeutet gleichzeitig, dass die bisherige staatsinterventionistische und innovationsarme Groko-Politik, gegen die sich die Liberalen im Wahlkampf positioniert haben, auch in dieser Legislaturperiode fortgeführt wird. Dennoch ist zu erwarten, dass die liberale Fraktion zukünftig in der Opposition mit ihren Impulsen den Diskurs vorantreiben wird. Das braucht die Demokratie dringender als ein fragwürdiges Regierungsbündnis mit widersprüchlichen Visionen.